75. Kleider machen Leute (nicht)

Als Claudius aus seinem komatösen Tiefschlaf erwachte, die Augen aufschlug und sich aufsetzte, dachte er noch er sei einem verrückten Traum auf den Leim gegangen.
Das dem nicht so war, erreichte sein Bewusstsein erst nach ein paar Augenblicken. Er blinzelte übermüdet und sah am Fuß seines Bettes einen Leib liegen. Den Leib einer Frau. Daneben auf dem Boden war eine Robe ausgebreitet. Billiger, ungefärbter Leinenstoff. Irgendwo dazwischen ragte der Bügel eines ebenso einfachen und billigen Schleiers hervor.

Nun kehrten die Bilder vom vorherigen Abend vor sein geistiges Auge. Er hätte weniger trinken sollen, dachte er sich.

Die Frau am Fußende seines Bettes war Farida. Er betrachtete sie eine Weile in ihrer ungeschützten Nacktheit. Farida. Nicht er hatte ihr diesen Namen gegeben, sondern Titus. Sie war das Eigentum seines Kampfgefährten, mit dem er Schulter an Schulter eine Kohorte aus Kasra zurückgeschlagen, und mehrfach das Lager der Legion verteidigt hatte. Sie hatten gemeinsam das Blut ihrer Feinde vergossen, ein Bund fürs Leben! Und nun lag sein Mädchen schon wieder in seinem Bett. Im Lager war es einmal zu einer Prügelei gekommen, weil Titus ihm und Farida auf die Schliche kam. Bis heute wusste er nicht, wer sie beide verraten hat, denn Titus teilt nicht gern!

Er hatte sie nicht angerührt in dieser Nacht, obwohl er wusste, welches Feuer in ihr loderte.Vieleicht weil ihre neuen Kleider ihn hemmten? Oder weil er nach all der Zeit anderes zu denken hatte als Fellspiele?

Wie all das gekommen war? Nun, Farida hatte im Chaos von Turmus ihren Herrn verloren und wurde nach Ar gebracht, weil dies Titus Heimstein ist. Selbiger war dort nicht aufzufinden, aber Claudius, er der zurückgekehrt war, fand die ziellos umher irrende Frau, erkannte sie und nahm sie bei sich auf.

Weil er nur als einfache Stadtwache seinen Lebensunterhalt bestritt, und schon eine Sklavin mit Namen Lavinia besaß, konnt er sich keine Zweite leisten. Er war kein Mann, der sich für Frauen verschuldete, deshalb kam er auf die Idee Farida in die Kleider einer Freien zu stecken und ihr Collar mit einem Schal zu verbergen. Sie sollte sich eine Arbeit in der Stadt suchen und sich damit selbst finanzieren. Nach außen hin gab er sie als seine Cousine vierten Grades aus. In den Wirren des Krieges hatten viele Arer Familienmitglieder verloren, oder suchten immernoch nach ihnen, was bedeutete, dass es nichts Ungewöhnliches war, wenn ein Mann entfernte Verwante bei sich aufnahm, auch wenn diese weiblich waren. All das war seiner Meinung nach besser als das Schicksal, dass Farida auf der Straße zu erwarten hatte.

Bisher klappe alles gut. Niemand schöpfte Verdacht, denn außer ein paar Legionären und insbesondere Titus kannte ohnehin niemand die wahre Identität dieses Mädchens. Arbeit hatte sie auch gefunden, das hatte sie ihm am gestrigen Abend eröffnet. Der Thalarionzüchter am anderen Ende des Viertels hatte sie in seinen Dienst aufgenommen und gab ihr sogar zu Essen. Besser konnte es erstmal nicht laufen.

Claudius machte sich keine Gedanken, wie es langfristig weitergehen sollte. Da man ihm nun eine Unterkunft im Palast zugeteilt hatte, konnte eine Beförderung nicht mehr lange auf sich warten lassen und dann sähen die Dinge schon wieder ganz anders aus.

Er rieb sich die Augen und schwang seine Beine aus dem Bett. Sie schlief noch, als er sich seine Tunika überwarf und das Zimmer verließ.

75. Kleider machen Leute (nicht)