74. Übertriebene Härte

Claudius blickte aus dem Fenster seiner Kammer dem Horizont entgegen. Da er im obersten Stock des Palastnebengebäudes untergebracht war, konnte er bei guter Sicht ganz Ar überblicken. Er ließ den gestrigen Abend gedanklich Revue passieren und stützte sich mit seinen groben Händen auf der Fensterbank ab. Während sein strenger Blick über die Köpfe von Passanten auf den Straßen glitt, die nicht ahnten, dass ein Rarius sie unbemerkt beobachtete, sah er das Mädchen von gestern vor sich. Ihren Namen hatte er schon wieder vergessen, aber ihr zierlicher Körper war ihm gut in Erinnerung geblieben.

Eine Reisende, vermutlich davon gelaufen von ihren Besitzern, dachte er und nickte. Es konnte nicht sein, dass eine Sklavin, deren Herrin angeblich das Zeitliche gesegnet hatte ohne Begleitung, ohne Schutz und ohne in die Fänge eines Sklavenhändlers oder Taugenichts zu geraten, hunderte Pasang gereist war. Und selbst wenn, dann hatte dieses schutzlose Ding, das ihm am Stadttor in die Arme gelaufen war nicht besonders an seinem Leben gehangen. Zwar war sie ihm bei einer eher zufälligen (man  könnte auch sagen willkürlichen) Kontrolle von Bürgern in die Hände gefallen, aber das tat nicht wirklich etwas zur Sache, denn die Geschichten, die sie ihm aufzutischen versuchte widersprachen sich und entarnten sie als Lügnerin. Als Schlechte obendrein.

Er schmunzelte und sah wieder zum Fenster hinaus. Dann grinste er und dachte weiter nach.

Nachdem er sich eine Weile allein über sie amüsiert hatte, rief er weitere Krieger hebei und niemand wollte dieses schmächtige Ding haben. Claudius hätte sie behalten können, aber als er erheitert davon sprach sie auf einen Pfahl zu setzen, um Reisende und Händler am Stadttor gebührend willkommen zu heißen, und das auch nur aus reiner Freundlichkeit, denn es wäre sicher unangenehmer für sie gewesen von Tullius Wachen aufgegriffen und öffentlich geköpft zu werden, suchte die Frau entsetzt schreiend das Weite. Er konnte so schnell gar nicht gucken, wie sie aufsprang und davon hastete.
Gut, er hatte es versucht sie vor den Greifern des Statthalters zu bewahren- aber sie hatte einen anderen Weg gewählt.

Claudius stieß sich vom Fenstersims ab, setzte seinen schweren, eisernen Helm auf seinen Kopf und legte sich seinen Umhang um die Schultern. Vieleicht gab es dort draußen noch mehr Weiber, die man erschrecken konnte. Jedenfalls würde das seinen zumeißt geisttötenden Wachdienst auf der Stadtmauer etwas interessanter machen.

Die Tür fiel hinter ihm polternd ins Schloss.

74. Übertriebene Härte